Der Bund vernachlässigt beim Krisenmanagement wichtige Ressourcen aus der Privatwirtschaft

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Der Bund vernachlässigt beim Krisenmanagement wichtige Ressourcen aus der Privatwirtschaft

12 January, 2021

Seit dem 22. Dezember ist er da: der Corona-Impfstoff von Pfizer/Biontech. Der harzige Start der Impfkampagne trübt aber die Freude. Bei genauerer Betrachtung der gewaltigen organisatorischen Herausforderung, die die Impfkampagne mit sich bringt, fallen einige Parallelen zum Contact-Tracing auf. In beiden Fällen wurden dem Bund seitens Privatwirtschaft frühzeitig vorhandene Ressourcen aufgezeigt, welche rasche und effiziente Lösungen ermöglicht hätten. In beiden Fällen wurden diese Angebote vernachlässigt. Auch bei der Impfstoffdistribution droht nun, dass sich die Effektivität der vom Bund organisierten Leistung als unbefriedigend herausstellt. Wieso vergisst der Staat in der Krise die Privatwirtschaft als Partnerin?

Aufgaben unterschätzt
Die Schweiz verfügt über beachtliche digitale und logistische Ressourcen. Sie befinden sich aber nicht in der öffentlichen Hand, sondern in den zahlreichen und hochspezialisierten Schweizer Unternehmen. Der Blick hinter die Kulissen zeigt beim Contact-Tracing sowie bei der Impfstoffdistribution, dass es keineswegs an Hilfsbereitschaft oder Kompetenz seitens der Schweizer Unternehmer gemangelt hat. Im Gegenteil: Elf verschiedene Lösungsansätze für ein schweizweites Contact-Tracing sollen beim Bund eingereicht worden sein. Anstatt die Verantwortung wahrzunehmen und diese Gelegenheit zu nutzen, verwies er jedoch an die Kantone. Diese unterschätzten die gewichtige Aufgabe zunächst massiv bzw. wollten sie mit eigenen Mitteln wahrnehmen.

Ein häufiges Argument zur Rechtfertigung der Aktionen des Bundes ist jenes der Sicherheit. Beim Contact-Tracing stützt man sich auf die Sicherheit der persönlichen Daten (Datenschutz), bei der Distribution des Impfstoffs auf den Schutz vor Übergriffen. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, ist man offenbar bereit, bei der Effizienz und der Effektivität Einbussen hinzunehmen. Ein funktionierendes Contact-Tracing ist heutzutage aber auch unter der Einhaltung der Datenschutzrichtlinien möglich. Eine entsprechende einheitliche und sichere Datenbank kann keinesfalls nur vom Bund zur Verfügung gestellt werden. Berichte von Contact-Tracern aus verschiedenen Kantonen weisen sogar deutlich darauf hin, dass der Datenschutz beim jetzigen Contact-Tracing keinesfalls optimal gewährleistet sei.

Ähnliche Entwicklungen waren in den vergangenen Wochen auch bei der Distribution des Impfstoffes zu beobachten. Diese ist eine logistische Herausforderung und liegt daher näher bei den Kernkompetenzen des Bundes. Dass die Armee logistische Beispielleistungen vollbringen kann, hat die in Rekordzeit erfolgte Mobilisierung im März bewiesen. Auch hier haben sich aber bereits in den ersten Wochen deutliche Ineffizienzen gezeigt, welche insbesondere mit der Rolle der Armee bei der Impfstoffverteilung an die Kantone zusammenhängen. Dies hat zwei Gründe: Erstens gibt es Schweizer Transportunternehmen, die im Bereich der Pharmalogistik über bessere Infrastruktur und mehr Erfahrung verfügen als die Armee. Zweitens wurden die Lagerung und die Feinverteilung von den Kantonen an diese Unternehmen delegiert. Die Leistung, die die Armee in der Impfstoffdistribution nun erbringt, ist bestenfalls unnötig, schlimmstenfalls riskiert man die Beschädigung des Impfstoffs durch unprofessionelle Handhabung.

Das Argument der Sicherheit, nämlich dass die Armee den Impfstoff beim Transport zum Zentrallager beschützen kann, wirft wiederum die Frage auf, ob dazu das «direkte» Engagement angebracht ist. Wenn es nur um die Sicherheit ginge, könnte die Armee auch Transporte von Privatunternehmen beschützen. Dann würden nämlich alle Beteiligten das tun, was sie am besten können: Die Transportunternehmen transportieren, und die Armee beschützt. Die Aufteilung zwischen der Armee, den Kantonen und privaten Logistikern führt jedoch zu künstlichen Zwischenschritten, welche den Verteilungsprozess unnötig verzögern. Diese Ineffizienz zeigt sich allein schon darin, dass anstelle eines national einheitlichen Impfstartes je nach Kanton eine Differenz von bis zu drei Wochen besteht.

Die Rolle als Krisenmanager
Es ist korrekt, dass der staatliche Handlungsspielraum in der Schweiz gesetzlich vorgeschrieben ist; und es ist verständlich, dass Zuständigkeiten und Abläufe mangels Erfahrung mit Pandemien zuerst in der Praxis eingeübt werden mussten. Die Corona-Krise hat Ressourcen gefordert, die vom Bund selbst nicht gestellt werden konnten oder können – die in der Schweizer Privatwirtschaft aber durchaus verfügbar wären. Zukünftig werden Bedrohungen vermehrt in Bereichen auftauchen, in denen der Staat nicht die klassische Kernkompetenz hat. Dies ist auch nicht weiter schlimm, solange er seine Rolle als Krisenmanager wahrnimmt. Dies heisst nicht, alles selbst zu machen, sondern die verschiedenen Aufgaben den jeweiligen Experten anzuvertrauen und sich selbst auf die Strategie- und Kontrollarbeit zu konzentrieren. In einem modernen Staat befinden sich diese Ressourcen oftmals in der Privatwirtschaft, welche im Krisenmanagement entsprechend berücksichtigt werden sollte.

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