Der EU-Rahmenvertrag gibt Sicherheit und Stabilität. Das Verhandlungsresultat ist ein fairer Kompromiss. Abwarten ist keine Lösung.
Die Schweizer sind sich uneinig über das EU-Rahmenabkommen. Vom Stammtisch bis zum Bundesrat – die Meinungen gehen auseinander. Auch in der sonst so europafreundlichen SP ist man innerhalb der Partei zerstritten. Selbst die Experten vertreten unterschiedliche Ansichten. Die öffentliche Anhörung in der aussenpolitischen Kommission vergangene Woche war der bisherige Höhepunkt einer monatelangen Diskussion, die Sachlichkeit vermissen lässt.
Teil der Expertengruppe war auch der Alt Botschafter Paul Widmer. Er hat sich in den letzten Monaten immer wieder dezidiert gegen das Rahmenabkommen geäussert. Er ist unter anderem der Auffassung, dass der Vertrag zu vieles offen lässt. Es ist allerdings ein Rahmenabkommen und kein Detailvertrag. Das Abkommen hat nicht das Ziel, möglichst viele Kleinigkeiten und Spezialfälle zu klären. Vielmehr sollen gewisse Leitplanken gesetzt und Rechtssicherheit geschaffen werden. Dies ist auch im Interesse der Schweiz. So ist mit dem Schiedsgericht das Verfahren bei möglichen Konflikten klar festgelegt. Die Gründe warum wir das Rahmenabkommen brauchen:
Verhandlungen sind kein Wunschkonzert
Eine Verhandlung ist durch gegensätzliche Interessen der Parteien und dem gemeinsamen Ziel des Interessenausgleichs definiert. Um eine nachhaltige Lösung zu erreichen, müssen in diesem Fall beide Seiten Zugeständnisse machen. Eine Verhandlung zweier Länder beziehungsweise eines Landes mit einer supranationalen Organisation ist kein Wunschkonzert. Kompromisse gehören einfach dazu.
Die Schweiz ist in einer guten Verhandlungsposition. Sie ist politisch stabil und wirtschaftlich stark. Vor allem aber ist sie ein zuverlässiger Partner – verlässlicher als viele Länder in der EU selbst. Man muss sich im Klaren sein, dass die Schweiz durch ihre geographische Lage, die engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, aber auch die kulturellen Ähnlichkeiten in einer Abhängigkeit zu der EU und ihren Mitgliedsländern steht. Wir haben allein mit Baden-Württemberg mehr wirtschaftlichen Austausch als mit den USA. Aber auch die EU will ein möglichst gutes Ergebnis erzielen. Diese Machtverhältnisse kommen bei Verhandlungen zum Vorschein. Wie schwierig Verhandlungen mit der EU sind, hat auch Grossbritannien zu spüren bekommen.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, das konkrete Verhandlungsergebnis zu betrachten. Und das ist aus Schweizer Sicht gut. Das Team um Staatssekretär Roberto Balzaretti hat sehr gute Arbeit geleistet und gute Bedingungen herausgeholt. Zentral ist, dass die Schweiz über jede Rechtsentwicklung entsprechend der verfassungsmässigen Genehmigungsverfahren entscheidet. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit eines Referendums. Die EU hat damit das direkt-demokratische System der Schweiz respektiert. Es ist zudem wichtig zu betonen, dass lediglich fünf der bisherigen bilateralen Verträge davon betroffen sind. Das Resultat ist ein fairer Kompromiss.
Weniger Emotionen – mehr Sachlichkeit
Im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen muss man sich den Brexit vor Augen führen. Der Abstimmungskampf war von Emotionen geprägt – sachliche Argumente gingen unter. Nach der Abstimmung haben die sich die Brexit-Befürworter um Nigel Farage aus der Verantwortung gestohlen. Bis heute ist das Land gespalten – dementsprechend schwach ist die Verhandlungsposition der Briten in Brüssel. Die Schweiz tut gut daran, dies zu verhindern und den Diskurs zum Rahmenvertrag rationaler zu gestalten. Dies scheint jedoch – insbesondere in einem Wahljahr – nicht ganz einfach. Es ist allerdings immer einfacher zu kritisieren als Verantwortung zu übernehmen.
In diese Richtung geht auch Paul Widmers Aussage, dass niemand weiss, was bei einer Annahme des Abkommens passieren wird. Das Gegenteil ist der Fall. Das Vorgehen ist rechtlich klar geregelt. Unklar wären hingegen die Konsequenzen einer Ablehnung. Nationalrätin Kathy Riklin hat Herrn Widmer in diesem Kontext die Frage gestellt, welches konkrete negative Folgen einer dynamischen Rechtsübernahme wären. Herr Widmer und die anderen Experten konnten keine nennen. Dieser Fall steht exemplarisch für die ganze Debatte.
Er zeigt die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik, in der leider allzu oft mit Blick auf kurzfristige Beliebtheitsumfragen und auf Basis einer dogmatischen Ideologie argumentiert wird.
Ein Entscheid muss her
Durch meine Erfahrung in Krisensituationen weiss ich, dass alle möglichen Szenarien und die damit verbundenen Risiken analysiert werden müssen. Mögliche Handlungsspielräume müssen evaluiert werden. Was sind mögliche Szenarien und deren Risiken – und wie geht man mit ihnen um? Genau dies muss die Schweiz jetzt tun. Kann man es sich leisten, auf die wirtschaftlich so wichtigen bilateralen Verträge zu verzichten? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Optionen, welche die Schweiz hat? Was bringt ein Scherbenhaufen?
Es ist nun die Zeit gekommen, um zu handeln. Während meiner Zeit bei der Task Force «Schweiz – Zweiter Weltkrieg» habe ich gelernt, dass Abwarten nur selten von Erfolg gekrönt ist. Auch hier ist es die falsche Lösung. Das Ziel muss sein, verbindliche Spielregeln für die Zukunft zu schaffen. Regeln die für alle gelten – die Schweiz und die EU. Genau darauf zielt das Rahmenabkommen ab. Es ist angesichts der Umstände ein guter Vertrag, den es anzunehmen gilt.