Die Bundesversammlung hat die verfassungsrechtliche Kompetenz und Pflicht, das Juso-Volksbegehren «Initiative für die Zukunft» teilweise für ungültig zu erklären.
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Zurzeit beschäftigt das von der Juso eingereichte Volksbegehren «Initiative für die Zukunft» die politische und mediale Landschaft der Schweiz. Die Initiative fordert eine Besteuerung von 50 Prozent auf Nachlässe und Schenkungen ab der Freigrenze von 50 Millionen Franken.
Im Initiativtext sind zusätzlich gesetzliche Übergangsbestimmungen festgehalten. Zum einen eine Rückwirkungsklausel: Die Initiative soll rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Annahme in Kraft treten, ebenso werden sämtliche lebzeitigen Erbvorbezüge und Schenkungen ab diesem Zeitpunkt kumuliert.
Zum anderen eine Steuerfluchtklausel: Steuervermeidung soll verhindert werden, indem Regeln bei Wohnsitzverlagerung ins Ausland festgelegt werden und eine Pflicht zur Aufzeichnung von Schenkungen besteht, ebenfalls rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Annahme der Initiative. Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Ausführungsbestimmungen soll der Bundesrat diese per Verordnung erlassen.
Rechtsstaatlich zweifelhaft
Es ist bereits ausreichend hervorgehoben worden, dass diese Initiative dem Wirtschaftsstandort Schweiz nachhaltig und schwer schadet. Überdies ist die Initiative in verschiedener Hinsicht verfassungswidrig und rechtsstaatlich zweifelhaft. Sie widerspricht dem fundamentalen Grundsatz des Rückwirkungsverbotes und greift in die Eigentumsfreiheit ein.
Zusätzlich verletzt die Initiative auch die Gewaltenteilung: Das Volksbegehren schränkt das Parlament nämlich in der Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz ein – und sie entzieht den Stimmberechtigten auch die Möglichkeit, auf dem Wege des fakultativen Referendums zum Resultat des Gesetzgebungsverfahrens bei der Umsetzung der Initiative Stellung zu nehmen. Überdies delegiert sie diese Gesetzgebungskompetenz am Parlament vorbei an den Bundesrat.
Die Konsequenz ist eine schleichende Verschiebung der verfassungsmässigen Zuständigkeiten durch eine Teilentmachtung des Parlaments und der Stimmberechtigten als Gesetzgeber. Mit ihren Nebenbestimmungen nimmt die Initiative durch die extrem detaillierten und rechtsstaatswidrigen Formulierungen die Ausführungsgesetzgebung vorweg, greift dadurch in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers ein.
Verfassungsrechtler heben ausdrücklich hervor, dass dies ein widerrechtlicher Gebrauch des Initiativrechts darstelle. Die Bundesverfassung spricht nirgends von «Volkssouveränität»; Gewaltenteilung und Schutz individueller Freiheit setzten auch der Verfügungsgewalt «des Volkes» unüberwindbare Grenzen. Die Verfassungsinitiative muss in fundamentale Grundsätze eines demokratischen Staatsrechts eingebettet bleiben.
Schranken des Initiativrechts
Überdies kennt die Bundesverfassung ausdrücklich keine Gesetzesinitiative; diese darf nicht verkappt über detaillierte Übergangsbestimmungen in Initiativtexten auf Umwegen eingeführt werden. Aus diesen Gründen hebt der frühere Ständerat und Staatsrechtler René Rhinow die in der Wissenschaft unbestrittene Tatsache hervor, dass es der Bundesversammlung nicht verwehrt ist, neue ungeschriebene Schranken des Initiativrechts anzuerkennen. Rhinow ruft die Bundesversammlung diesbezüglich sogar auf, «von ihren verfassungsmässigen Kompetenzen klar und deutlich Gebrauch zu machen».
Das Fazit ist eindeutig: Die Übergangsbestimmungen der Juso-Initiative verletzen die Gewaltenteilung und fundamentale rechtsstaatliche Normen. Dieser Teil der Initiative muss daher von der Bundesversammlung für ungültig erklärt werden. Damit würde überdies der wirtschaftliche Schaden der Initiative minimiert, da Betroffene bei einer – unwahrscheinlichen – Annahme der Vorlage die Umsetzungsgesetzgebung bekämpfen könnten oder noch mehrere Jahre Zeit hätten, ihre rechtsstaatlich gesicherten Massnahmen zu treffen.
Thomas Borer ist Unternehmensberater und ehemaliger Diplomat.